“Ich kann mein Erscheinungsbild leicht verändern. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich keine richtige kulturelle Identität habe. Gestört hat sie das noch nie: ich sage mir, die Mischung macht’s”. Sie verliebt sich nur in weiße Männer, hat noch nie einen farbigen Freund gehabt. Sie glaubt, dass es mit ihrem Vater zusammenhängt: als Pascale sechs war, kam der Kenianer bei einem Autounfall in Frankreich ums Leben. “Das war furchtbar. Und deshalb habe ich alle Erinnerungen an ihn abgeblockt. Dieser große schwarze Mann ist für mich eine mystische Figur geworden, unerreichbar”. Pascale lebt seit 20 Jahren in Berlin. Ihrer Hautfarbe und ihres ungewöhnlichen Äußeren wurde sie sich erst mit 18 bewusst. “In der Schule, im Französischen Lyzeum, waren die meisten Mischlinge — wie ich”. Auf einer Party machte man ihr den Vorschlag, als Model zu arbeiten. “Da habe ich begriffen, dass ich mit meinem exotischen Aussehen eine Menge Geld verdienen kann”. Dann hat Pascale Spaß daran, den Spieß umzudrehen. Wenn sich Deutsche über sie unterhalten — im Glauben, sie sei Ausländerin und verstehe die Sprache nicht — “fange ich plötzlich an, berlinerisch mit ihnen zu reden. Nachher sind sie immer ganz fertig”. Pascale kann über solche Situationen lachen, denn im Grunde fühlt sie sich in Deutschland wohl. Aber als Europäerin, die sich in Berlin ein Leben aufgebaut hat. “Und ich möchte hier bleiben”.

Eva und Franziska haben zusammen gelernt, jetzt gehen sie in die Stadt den Hunderter ausgeben. Und die fünfzig Mark, die Eva noch von ihrem Taschengeld übrig hat. “Ich will mit”, hat Franziska gesagt. “Ich gehe gern einkaufen”. “Ich weiß aber gar nicht, was ich will”, hat Eva geantwortet. Sie kann sich nicht vorstellen, wie das ist, mit Franziska. Eva will Jeans kaufen. Oder vielleicht doch lieber Bücher? Nein, eigentlich will sie eine Hose und eine Bluse. “Für mich ist es schwer, etwas zu finden”, sagt sie zu Franziska. “Das macht nichts. Ich habe Geduld”. Sie fahren mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Franziska kennt einen kleinen Laden. “Einen ganz guten”, sagt sie. “Was für eine Jeansgröße hast du?” fragt Eva. “Neunundzwanzig oder achtundzwanzig, das kommt auf die Firma an. “Ich habe vierunddreißig oder sechsunddreißig”, sagt Eva. Der Laden ist wirklich ziemlich klein. Eva wäre lieber in einen größeren gegangen. Aber Franziska fühlt sich hier wohl. “Das Hemd hier gefällt mir”, sagt Eva. Das Hemd ist rosa. “Kauf es dir doch”. “Ich möchte eine Bluejeans”, sagt Eva zu der Verkäuferin. Und sie denkt: so eine helle Hose gefällt mir viel besser. So eine ganz helle. Und dazu das rosa Hemd. Schade. Sie steht in der Kabine und bemüht sich verzweifelt, den Reißvers-chluss zuzumachen. Es geht nicht. “Na, was ist?” fragt Franziska von draußen. “Zu klein”. Franziska bringt die nächste Hose. Dann noch eine. “Hier, probier die mal”. “Aber die ist doch viel zu hell”, sagt Eva. ”So helle Farben machen mich doch nur noch dicker”. “Ach was. Helle Farben stehen dir sicher viel besser als immer nur Dunkelblau oder Braun”. “Die Farbe der Hose passt zu deinen Haaren”, sagt Franziska. “Schämst du dich nicht mit mir?” fragt Eva. “Warum?” “Weil ich so dick bin”. “Du bist verrückt”, sagt Franziska. “Warum soll ich mich schämen? Es gibt Dünne und Dicke, na und?” Die Farbe der Hose passte wirklich gut zu ihren Haaren. Sie war so hell wie ihre Haare. Franziska kommt mit dem rosafarbenen Hemd zurück. “Hier, zieh an”. Dann steht Eva vor dem Spiegel. Überrascht, dass sie so aussehen kann. Überhaupt ganz anders “Schön”, sagt Franziska zufrieden. “Ganz toll. Genau die richtigen Farben für dich”. Dunkle Farben machen schlank, helle machen dick. “Ich bin zu dick für so etwas. Findest du nicht, dass ich zu dick bin für solche Sachen?” “Nein, finde ich nicht”, sagt Franziska. “Mir gefällst du so. Du siehst wirklich gut aus. Schau nur!” Und Eva schaut. Sie sieht ein dickes Mädchen, mit dickem Busen, dickem Bauch und dicken Beinen. Aber sie sieht wirklich nicht schlecht aus. Ein bisschen auffällig, das schon, aber nicht schlecht. Sie ist dick. Aber es muss doch auch schöne Dicke geben. Und was ist das überhaupt: schön? Sind nur die Mädchen schön, die so aussehen wie auf den Fotos in Frauenzeitschriften? Sie muss lachen, als sie an die Frauen auf den Bildern alter Meister denkt. Volle Frauen, dicke Frauen. Eva lacht das Mädchen im Spiegel an. Und da passiert es. Plötzlich ist sie die Eva, die sie sein will. Sie lacht, sie kann gar nicht mehr aufhören zu lachen, und während ihr das Lachen fast die Stimme nimmt, sagt sie: “Wie ein Sommertag sehe ich aus, wie ein Sommertag”.

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